F.A.Z., 28.06.2022, Rhein-Main (Rhein-Main-Zeitung), Seite 37
Gewerbe oder Getreide
GLASHÜTTEN Der Blick über die Äcker vor dem Dorf Oberems ist schön. Vielleicht müssen sie aber Betrieben weichen. Einige Bürger wehren sich. Der Bürgermeister hält dagegen.
Von Florentine Fritzen
Bevor es zu den Feldern geht, die vielleicht einem Gewerbegebiet weichen müssen, reden die drei Oberemser über Wasser. Ihr Dorf gehört zur Gemeinde Glashütten. Dort, im Hauptort, laufen sie vom Parkplatz eines Discounters zu einem Waldstück, das wie so viele im Taunus eigentlich keins mehr ist. Die Bäume seien abgestorben, weil sich der Borkenkäfer wegen der Wasserknappheit durchgesetzt habe. Wenn noch mehr Fläche versiegelt würde, dann ginge die besondere autarke Wasserversorgung Glashüttens flöten.
Chantal Klemm, Dirk Trippe und Rica Plass gehören zur Bürgerinitiative Oberems, kurz B.I.O. Gegründet hat sie sich vor ein paar Wochen, als der Bürgermeister über Pläne informierte, eine Fläche von gut neun Hektar als mögliches Gewerbegebiet in den neuen regionalen
Flächennutzungsplan für 2030 zu schreiben. Für die Oberemser ein Denken „wie in den Achtzigern“, „immer schneller, weiter, höher“. Sie seien nicht gegen Gewerbe. Auch deshalb haben sie den Treffpunkt am Discounter vorgeschlagen. Sie finden: Dort, wo schon Anschlüsse liegen und jetzt
leider auch keine Bäume mehr stehen, wäre Platz, um bedarfsgerecht zu wachsen. Das lokale Handwerk brauche keine zehn Hektar – die B.I.O. nennt stets diese Zahl.
Im Auto geht es über die B 8 von Glashütten durch den Wald Richtung Dorf. Kurz davor öffnet sich der Blick zu Getreideäckern, umsäumt von Bäumen. Dirk Trippe fährt bis zum Abzweig nach Oberems. Es gehe um genau diese Fläche, von der Bundesstraße aus 100 Meter ins Feld hinein. „Es macht Angst, erschreckt und macht traurig“, sagt Chantal Klemm. „Wir sind doch hierhergezogen, weil es hier schön ist.“ Bei ihr ist das 16 Jahre her, bei Trippe 25. Die meisten Mitstreiter seien zwischen 40 und Mitte 50 Jahre. Trippe wendet, fährt zu einem Parkplatz. Da wartet Astrid Glockner, ebenfalls von B.I.O.
Der Blick über die blassgelben Ähren ist schön. Schmetterlinge flattern, hinten scheint die Morgensonne auf den Acker. Auf Hügeln in der Ferne drehen sich Windräder, am nahen Hang liegt Oberems. Wer dort lebt, schätzt in den Worten der Engagierten den dörflichen Spirit, nennt den Ort nicht unbedingt Heimat, aber Zuhause. Auch Ausflügler, Rennradfahrer und Mountainbiker kommen gerne her. Eine der Frauen sagt: „Ich liebe das hier!“ Sie arbeiten als Marketingmanagerin bei einem DAX Unternehmen in Frankfurt, Leitender Angestellter bei einem Technologiekonzern in Frankfurt, Anwältin in Glashütten, Übersetzerin in Oberems. Bisher haben sie sich nicht politisch engagiert. Nun soll aus der Initiative ein gemeinnütziger Verein werden.
Entstanden ist die Gruppe mit inzwischen gut 50 Mitgliedern im Mai, als der Bürgermeister über die Pläne informieren wollte. Der Termin zur Bürgerversammlung stand im Amtsblatt, die Tagesordnung auf der städtischen Homepage und in Schaukästen. Die Initiative fand: „So ein Riesenthema, und das kriegt keiner mit.“ Sie druckte ein Flugblatt. Oben ein Foto vom Feld, unten das eines Gewerbegebiets. Dazu der Termin der Versammlung, allerlei Bedenken und die Aufforderung, sich einzubringen. Kein Absender. Ihrer Meinung nach war der Flyer aber nicht anonym. „Wir haben an Türen geklingelt und ihn überreicht.“ Zur Versammlung kamen etwa 300 Leute.
Am Feld geht es jetzt um Getreide, zur Zeit ein knappes Gut. Für nur ein Brot, sagt Astrid Glockner, sei ein Quadratmeter Ernte nötig. Auch die Bauern seien alteingesessene Betriebe – und Gewerbe. Statt die Fläche in den Nutzungsplan zu schreiben, fordern sie eine „praktikable, robuste Lösung“. Und erst den Bedarf abzufragen. „Sonst öffnen wir hier die Büchse der Pandora“, sagt Rica Plass.
Im Rathaus verweist der Bürgermeister auf die Zukunft und die parlamentarische Demokratie. „Ich will da keine neun Hektar Gewerbegebiet hinzimmern“, sagt der CDU-Politiker Thomas Ciesielski. „Aber wir wissen ja nicht, was in 20 Jahren ist.“ Er wolle nachfolgenden Politikern und Bürgern die Option sichern, ein Gewerbegebiet zu bauen. Manche Glashüttener sagten ihm: „Mensch, eine Waschanlage oder ein Baumarkt an der B 8 wäre doch super.“ So weit sei der Vorgang längst nicht. Wenn die Äcker am Ende im neuen Flächennutzungsplan stünden, müsste die Gemeindevertretung eine Bauleitplanung machen, und die Bürger würden beteiligt. Grundsätzlich sei so eine Planung jederzeit möglich, aber einfacher, wenn dafür nicht der gültige Flächennutzungsplan geändert werden müsse.
Ciesielski hat den Vorgang von seiner parteilosen Vorgängerin Brigitte Bannenberg geerbt und, wie er sagt, erst nach seiner Wahl im Frühling 2021 davon erfahren. Bannenberg habe 2019 in einem Verwaltungsgespräch mit dem Regionalverband Rhein-Main mehrere Flächen für den Planentwurf gemeldet. Über die gut neun Hektar sagt der Nachfolger: „Ich persönlich hätte es kleiner gemacht, nicht in der Größe an die Straße herangeklatscht.“ Auch er sei nach Glashütten gezogen, weil es dort grün sei. Die Gemeinde müsse sich aber entwickeln, dem ortsansässigen Gewerbe Möglichkeiten eröffnen – und dafür sorgen, dass sich andere Gewerbetreibende ansiedeln.
Die Gemeindevertreter, gewählt, um die Interessen der Bürger zu vertreten, haben ihm signalisiert, dass sie einige der 2019 gemeldeten Flächen als „toxisch“ ablehnen würden, die für das Gewerbegebiet aber nicht. Also habe er den Regionalverband gebeten, die anderen Flächen aus dem
Plan zu nehmen. Tatsächlich beteiligt werde die Gemeindevertretung erst 2024, wenn der erste Planentwurf stehe. Ciesielski findet: Im Fall des Falles müssten Äcker weichen, deren Ertrag teilweise in Biogasanlagen lande. Aber eine Abfrage zum Bedarf sei sinnvoll. Über das Flugblatt ohne Absender hat er sich geärgert, zumal es ein Industriegebiet aus Castrop-Rauxel zeige. So etwas, sagt er, werde niemals in Oberems entstehen. Am Montag trifft er Vertreter von B.I.O. Und will erklären, warum er an den Plänen festhält.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.
> Hier finden Sie unsere Stellungnahme.